Wasserstoffatome unter der Lupe

Direkte Beobachtung von Knotenstrukturen in elektronischen Zuständen des Wasserstoffatoms

Um die mikroskopischen Eigenschaften von Materie und ihre Wechselwirkungen mit der Umgebungswelt beschreiben zu können, werden in der Quantenmechanik Wellenfunktionen genutzt, deren Struktur- und Zeitabhängigkeit von der Schrödingergleichung beschrieben werden. In Atomen lassen sich mithilfe von elektronischen Wellenfunktionen u.a. Ladungsverteilungen beschreiben, deren Größenordnung weit von unserem alltäglichen Erfahrungshorizont entfernt ist. Die experimentelle Beobachtung der Ladungsverteilung wird dadurch erschwert, dass der Vorgang der Messung selbst Auswirkungen auf die Wellenfunktion hat und jede Messung selektiv nur eine Manifestation der möglichen Zustände erfasst. Physiker behelfen sich daher mit Berechnungen von Ladungsverteilungen, die mit Lehrbuchwissen möglich sind. Besser gesagt, bis heute war dies so. Unter der Federführung von Wissenschaftlern des MBI gelang es nun einem internationalen Forscherteam ein Mikroskop zu entwickeln, das die Vergrößerung der Wellenfunktion angeregter Wasserstoffatome um einen Faktor von mehr als zwanzigtausend erlaubt. Damit können die Knotenstrukturen der elektronischen Zustände des Wasserstoffatoms auf einem zweidimensionalen Detektor sichtbar gemacht werden. Die Ergebnisse der Arbeit stellen die Verwirklichung einer drei Jahrzehnte alten Idee dar und wurden in Physical Review Letters (PRL 110, 213001 (2013) und auf physicsworld.com veröffentlicht.

Die Entwicklung der Quantenmechanik in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts hatte erheblichen Einfluss auf das naturwissenschaftliche Verständnis der Welt. Die Quantenmechanik erweiterte das auf der klassischen Newtonschen Mechanik aufbauende Weltbild um eine Beschreibung der Mikrowelt, deren Eigenschaften sich mit klassischen Ansätzen nicht erklären ließen. Diese Eigenschaften umfassen z.B. die Teilchen-Welle-Dualität, die Interferenz und Verschränkung von Teilcheneigenschaften, die Heisenbergsche Unschärferelation und das Paulische Ausschlußprinzip. Von zentraler Bedeutung in der Quantenmechanik ist das Konzept der Wellenfunktion, die eine mathematische Lösung der zeitabhängigen Schrödingergleichung erlaubt. Gemäß der Kopenhagener Interpretation beschreibt die Wellenfunktion die Wahrscheinlichkeit von Messergebnissen, die aus einemquantenmechanischen System hervorgehen wie z.B. die Energie eines Systems oder die Position und der Impuls seiner Bestandteile. Die Wellenfunktion erlaubt damit die Beschreibung nicht-klassischer Phänomene auf der Mikroskala, die durch Messungen auf der Makroskala beobachtet werden. Die Messung entspricht dem Betrachten eines oder mehrerer der unzähligen möglichen Manifestationen der Wellenfunktion.

Trotz ihres enormen Einflusses auf die moderne Elektronik und Photonik, bieten die Quantenmechanik und die sich daraus eröffnenden Möglichkeiten noch immer große intellektuelle Herausforderungen. Immer wieder wurden neue Experimente angeregt, um die faszinierenden Vorhersagen der Theorie zu veranschaulichen. So erhielten beispielweise Haroche und Wineland den Nobelpreis 2012 für ihre Arbeiten zur Messung und Steuerung einzelner Quantensysteme in störungsfreien Quantenexperimenten, die den Weg für genauere optische Uhren und möglicherweise sogar für die zukünftige Realisierung eines Quantencomputers ebneten. Unter Verwendung kurzer Laserimpulse können in Experimenten kohärente Überlagerungen von stationären quantenmechanischen Zuständen (Wellen) der Elektronen, die sich auf periodischen Umlaufbahnen um Atomkerne bewegen, beobachtet werden. Die Wellenfunktion jedes dieser elektronischen stationären Zustände ist eine stehende Welle, die ein Knotenmuster aufweist in dem sich die Quantenzahlen der jeweiligen Zustände wiederspiegeln. Zur Beobachtung solcher Knotenmuster wurden Raster-Tunnel-Verfahren auf Oberflächen angewandt. Außerdem ermöglichen jüngst durchgeführte Laserionisierungsexperimente die Herstellung von Licht im extremen UV-Bereich, welches die initiale Wellenfunktion eines Atoms oder Moleküls im Ruhezustand kodiert.

Abb. (links) zweidimensionale Projektion von Elektronen aus der Anregung von Wasserstoffatomen auf vier elektronische Zustände, versehen mit Quantenzahlen (n1,n2,m) und mit (von oben nach unten) 0, 1, 2 und 3 Knoten in ihrer Wellenfunktion für die parabolische Koordinate ξ = r+z; (rechts) Vergleich der experimentell gemessenen radialen Verteilung (durchgehende Linien) mit Ergebnissen aus quantenmechanischen Berechnungen (gestrichelte Linien), der zeigt, dass im Experiment die Knotenstruktur der quantenmechanischen Wellenfunktion gemessen wurde.

Vor ungefähr 30 Jahren haben russische Theoretiker eine alternative experimentelle Methode vorgestellt um die Eigenschaften von Wellenfunktionen zu messen. Sie schlugen vor, Experimente zur Erforschung der Laserionisierung von atomarem Wasserstoff in einem statischen elektrischen Feld durchzuführen. Sie sagten voraus, dass die Projektion von Elektronen auf einem zweidimensionalen Detektor (der senkrecht zum statisch elektrischen Feld platziert ist) die Messung von Interferenzmustern erlaubt, welche unmittelbar die Knotenstruktur der elektronischen Wellenfunktion widerspiegelt. Diese Tatsache liegt in der besonderen Eigenschaft des Wasserstoffs begründet, welches als einziges in der Natur vorkommendes Atom nur ein Elektron enthält. Aufgrund dieser Besonderheit lassen sich die Wellenfunktionen des Wasserstoffs als Produkt von genau zwei Wellenfunktionen darstellen, welche beschreiben, wie sich die Wellenfunktion als eine Funktion zweier sog. „parabolischer Koordinaten“ verändert. Wesentlich ist, dass die Form der beiden parabelförmigen Wellenfunktionen unabhängig von der Stärke des statischen elektrischen Feldes gleichbleibend ist und somit auf der gesamten Reise des Elektrons vom Ionisierungsort zum zweidimensionalen Detektor (in unserem Experiment etwa ein halber Meter!!) erhalten bleibt.

Die schlüssige Idee in die experimentelle Realität umzusetzen war indessen alles andere als einfach. Da Wasserstoffatome nicht chemisch stabil sind, mussten sie zunächst per Laserdissoziation eines geeigneten Vorläufermoleküls (Wasserstoffdisulfid) hergestellt werden. Dann mussten die Wasserstoffatome in entsprechende elektronische Zustände angeregt werden, was wiederum zwei weitere, genau abzustimmende Laserquellen erforderte. Waren die Elektronen dann angeregt, musste schließlich eine äußerst empfindliche elektrostatische Linse zum Einsatz kommen, um die physikalischen Dimensionen des Atoms in den Bereich einer Millimeterskala zu vergrößern, auf der sie dann mit bloßem Auge auf einem zweidimensionalen Bildwandler beobachtet und mit einem Kamerasystem aufgenommen werden konnten. Die wichtigsten Ergebnisse sind in der Abbildung unten dargestellt. Die Abbildung zeigt die rohen Kameradaten von vier Messungen, bei denen das Wasserstoffatom auf Zustände mit 0, 1, 2, und 3 Knoten in der Wellenfunktion für die parabolische Koordinate ξ = r+z angeregt wurde. Wie die experimentell ermittelten Projektionen auf dem zweidimensionalen Detektor zeigen, können die Knoten leicht über die Messungen erfasst werden. Der experimentelle Aufbau dient hier als Mikroskop, das es uns bei einer Vergrößerung um einen Faktor von etwa zwanzigtausend ermöglicht, sehr tief in ein Wasserstoffatom hinein zu schauen.

Über den reinen Nachweis einer mehr als 30 Jahre alten theoretischen Überlegung hinaus, werden in unserem Experiment wunderschön die Feinheiten der Quantenmechanik demonstriert. Außerdem sollten unsere Ergebnisse als ein fruchtbares Spielfeld für weitere Forschungen dienen, bei denen man beispielsweise Wasserstoffatome gleichzeitig sowohl elektrischen wie magnetischen Feldern aussetzt. Das einfachste Atom in der Natur hat immer noch eine Menge spannender Physik zu bieten.

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Sortieren: Jahr Autor Titel Journal
A1-P-2025.01
Melting, bubblelike expansion, and explosion of superheated plasmonic nanoparticles

S. Dold, T. Reichenbach, A. Colombo, J. Jordan, I. Barke, P. Behrens, N. Bernhardt, J. Correa, S. Düsterer, B. Erk, T. Fennel, L. Hecht, A. Heilrath, R. Irsig, N. Iwe, P. Kolb, B. Kruse, B. Langbehn, B. Manschwetus, P. Marienhagen, F. Martinez, K.-H. Meiwes-Broer, K. Oldenburg, C. Passow, C. Peltz, M. Sauppe, F. Seel, R. M. P. Tanyag, R. Treusch, A. Ulmer, S. Walz, M. Moseler, T. Möller, D. Rupp, B. v. Issendorff

Physical review letters 134 (2025) 136101/1-7

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A3-P-2025.01
Second-harmonic generation in OP-GaAs0.75P0.25 heteroepitaxially grown from the vapor phase

L. Wang, S. R. Vangala, S. Popien, M. Beutler, J. M. Mann, V. L. Tassev, E. Büttner, V. Petrov

CrystEngComm 27 (2025) 1373-1376

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A3-P-2025.02
Diode-pumped Kerr-lens mode-locked Yb:MgWO4 laser

H.-Y. Nie, Z.-L. Lin, P. Loiko, H.-J. Zeng, L. Zhang, Z. Lin, G. Z. Elabedine, X. Mateos, V. Petrov, G. Zhang, W. Chen

Optics Letters 50 (2025) 1049-1052

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A3-P-2025.03
Growth, anisotropy, and spectroscopy of Tm3+ and Yb3+ doped MgWO4 crystals

G. Z. Elabedine, R. M. Solé, S. Slimi, M. Aguiló, F. Díaz, W. Chen, V. Petrov, X. Mateos

CrystEngComm 27 (2025) 1619-1631

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A3-P-2025.04
Growth, structure, spectroscopic, and laser properties of Ho-doped yttrium gallium garnet crystal

S. Slimi, H. Yu, H. Zhang, C. Kränkel, P. Loiko, R. M. Solé, M. Aguiló, F. Díaz, W. Chen, U. Griebner, V. Petrov, X. Mateos

Optics Express 33 (2025) 2529-2541

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A3-P-2025.05
Growth, spectroscopy and laser operation of disordered Tm,Ho:NaGd (MoO4)2 crystal

G. Z. Elabedine, Z. Pan, P. Loiko, H. Chu, D. Li, K. Eremeev, K. Subbotin, S. Pavlov, P. Camy, A. Braud, S. Slimi, R. M. Solé, M. Aguiló, F. Díaz, W. Chen, U. Griebner, V. Petrov, X. Mateos

Journal of Alloys and Compounds 1020 (2025) 179211/1-12

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A3-P-2025.06
Kerr-lens mode-locked, diode-pumped Yb,Gd:YAP laser generating 23 fs pulses

H.-Y. Nie, P. Zhang, P. Loiko, Z.-L. Lin, H.-J. Zeng, G. Zhang, Z. Li, X. Mateos, H.-C. Liang, V. Petrov, Z. Chen, W. Chen

Optics Express 33 (2025) 11793-11799

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A3-P-2025.07
Nanoindentation and laser-induced optical damage tests of CdSe nonlinear crystals

G. Exner, A. Carpenter, K. Cissner, A. Hildenbrand-Dhollande, S. Schmitt, A. Grigorov, M. Piotrowski, S. Guha, V. Petrov

Journal of the Optical Society of America B 42 (2025) A10-A14

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A3-P-2025.08
Phase-matching properties of AgGa(Se1-xTex)2 for SHG of a CO2 laser

K. Kato, V. Petrov, K. Miyata

Proceedings of SPIE 13347 (2025) 133470S/1-4

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A3-P-2025.09
Phase-matching properties of ZnSiAs2 in the mid-IR

T. Okamoto, N. Umemura, K. Kato, V. Petrov

Proceedings of SPIE 13347 (2025) 133470C/1-5

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A3-P-2025.10
Direct generation of 3.5 optical-cycle pulses from a rare-earth laser

N. Zhang, Y. Wang, H. Ding, F. Liang, Y. Zhao, J. Xu, H. Yu, H. Zhang, V. Petrov

Optics Letters 50 (2025) 3150-3153

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A3-P-2025.11
Power scaling of a non-resonant optical parametric oscillator based on periodically poled LiNbO3 with spectral narrowing

S. Das, T. Temel, G. Spindler, A. Schirrmacher, I. B. Divliansky, R. T. Murray, M. Piotrowski, L. Wang, W. Chen, O. Mhibik, V. Petrov

Optics Express 33 (2025) 5662-5669

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A3-P-2025.12
Sub-40-fs diode-pumped ytterbium-doped mixed rare-earth calcium oxoborate laser

H.-J. Zeng, Z.-L. Lin, H. Lin, P. Loiko, L. Zhang, Z. Lin, H.-C. Liang, X. Mateos, V. Petrov, G. Zhang, W. Chen

Optics Express 33 (2025) 17965-17975

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A3-P-2025.13
Spectroscopy and SESAM mode-locking of a disordered Yb:Gd2SrAl2O7 crystal

H.-J. Zeng, Z.-L. Lin, P. Loiko, F. Yuan, G. Zhang, Z. Lin, X. Mateos, V. Petrov, W. Chen

Optics Express 33 (2025) 15057-15066

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A3-P-2025.14
Watt-level, 1.6 ps χ(2)-lens mode-locking of an in-band pumped Nd:LuVO4 laser

H. Iliev, V. Aleksandrov, V. Petrov, L. S. Petrov, H. Zhang, H. Yu, I. Buchvarov

Optics Express 33 (2025) 17773-17781

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A3-P-2025.15
Refined phase-matching predictions for AgGa1-xInxS2 mixed chalcopyrite crystals

K. Kato, K. Miyata, V. Petrov

Journal of the Optical Society of America B 42 (2025) A6-A9

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A3-P-2025.16
35-fs diode-pumped mode-locked ytterbium-doped multi-component alkaline-earth fluoride laser

Z. Zhang, Z.-Q. Li, P. Loiko, H.-J. Zeng, G. Zhang, Z.-L. Lin, S. Normani, A. Braud, F. Ma, X. Mateos, H.-C. Liang, V. Petrov, D. Jiang, L. Su, W. Chen

Optics Letters 50 (2025) 1835-1838

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A3-P-2025.17
Diode-pumped few-optical-cycle laser based on an ytterbium-doped disordered strontium yttrium borate crystal

H. Zeng, Z. Lin, S. Sun, P. Loiko, H. Lin, G. Zhang, Z. Lin, C. Mou, X. Mateos, V. Petrov, W. Chen

Optics Letters 50 (2025) 2203-2206

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A3-P-2025.18
Refined Sellmeier and thermo-optic dispersion formulas for CdGeAs2

K. Kato, K. Miyata, V. Petrov

Journal of the Optical Society of America B 42 (2025) A24-A28

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A3-P-2025.19
Diode-pumped mode-locked Yb:Ca3La2(BO3)4 laser generating 35 fs pulses

H.-J. Zeng, Z.-L. Lin, G. Zhang, Z. Pan, P. Loiko, X. Mateos, V. Petrov, H. Lin, W. Chen

Optics Express 33 (2025) 22988-22996

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