Gemischte Quantenzustände in der Photobiologie – neue Einsichten der Stark-Spektroskopie mit ultrakurzen Terahertz-Impulsen

Das Protein Bakteriorhodopsin ist eine Protonenpumpe, in der ein Protonentransport durch die Zellmembran durch die lichtinduzierte Isomerisation des Farbstoffs Retinal ausgelöst wird. Die hierfür relevanten Quantenzustände wurden jetzt durch Messung ihrer elektrischen Dipolmomente charakterisiert. Mit der neuen Methode der Stark-Spektroskopie im Terahertz-Frequenzbereich lässt sich eine Mischung elektronisch angeregter Zustände mit direktem Einfluss auf Pfad und Dynamik der Photoreaktion nachweisen.

Die protonierte Schiffsche Base des Retinals, des Chromophors von Bakteriorhodopsin (Abb. 1a), erfährt nach der Absorption von Licht eine ultraschnelle Änderung ihrer molekularen Struktur. Nach Photoanregung bewegt sich das Molekül aus dem anfänglich besetzten Bereich der Potentialfläche des elektronisch angeregten Zustandes entlang einer Reaktionskoordinate zum Kreuzungspunkt zwischen angeregtem und Grundzustand, wo eine trans-cis Isomerisation der Molekülstruktur stattfindet (Abb. 1b). Dieser Prozess erfolgt innerhalb von ca. 500 fs = 5×10-13 s nach der Anregung.

Der Charakter der Potentialfläche des angeregten Zustandes ist – trotz seiner Schlüsselrolle für das Reaktionsgeschehen – nur in Ansätzen verstanden. Theoretische Modelle betrachten entweder allein den ersten angeregten Zustand S1 des Moleküls oder aber einen gemischten Quantenzustand mit Beiträgen von S1 und dem zweiten angeregten Zustand S2. Eine Klärung des Zustandscharakters erfordert einen neuen experimentellen Zugang. Eine vielversprechende Sonde ist das elektrische Dipolmoment von Retinal, das im Grundzustand S0, dem ersten angeregten Zustand S1 und dem zweiten angeregten Zustand S2 stark unterschiedliche Werte annimmt. Deshalb sollte eine Messung der Dipoländerung bei Photoanregung direkten Aufschluss über die Natur des angeregten Zustandes geben.

Ein Forschungsteam des Max-Born-Instituts, der Humboldt-Universität, beide in Berlin, und der Ludwig Maximilians Universität in München hat jetzt die Dipoländerungen des Retinals in Bakteriorhodopsin mit der neuen Methode der Terahertz (THz) Stark-Spektroskopie gemessen (1 THz = 1012 Hz = 1012 Schwingungen pro Sekunde). Wie in der Zeitschrift The Proceedings of the National Academy of Sciences USA (PNAS, vol. 121, (26) e2319676121 (2024)) berichtet, führt die Photoanregung zu einer moderaten Dipoländerung von 5 Debye (1.67×10-29 CoulombMeter), die viel kleiner ist als für einen reinen S1-Zustand vorhergesagt. Die experimentellen Daten und ihre theoretische Analyse ergeben, dass eine Beimischung des S2-Zustandes und die Mittelung der molekularen Dynamik über die ersten 120 fs die gemessene begrenzte Dipoländerung erklären. Die Resultate zeigen damit eine ausgeprägte Mischung von Quantenzuständen, die für die Dynamik und Ausbeute der Isomerisationsreaktion des Retinals von entscheidender Bedeutung ist.

In der THz Stark-Spektroskopie (Abb. 1c) stellt ein ultrakurzer THz-Anregeimpuls (Dauer ca. 1 ps = 10-12 s, Abb. 1d) ein starkes elektrisches Feld bereit, in dem optische Übergänge des Retinals vom Grundzustand in den angeregten Zustand in ihrer Frequenz verschoben werden, d.h. eine sog. Stark-Verschiebung hervorgerufen wird (Abb. 2a). Diese Frequenzverschiebung ist proportional zu der Dipoländerung ∆µ zwischen Grund- und angeregtem Zustand. Die entsprechende Änderung des Absorptionsspektrums wird mit einem Femtosekunden-Abtastimpuls gemessen, dessen Dauer kurz ist im Vergleich zum THz-Impuls. Hierdurch kann der Einfluss des momentanen THz-Feldes erfasst werden. In einer Probe, die eine Vielzahl von Retinal-Dipolen mit ungeordneter räumlicher Ausrichtung enthält, beobachtet man eine Verbreiterung des Absorptionsspektrums, aus der sich direkt die Dipoländerung ableiten lässt (Abb. 2b). Die Verbreiterung folgt zeitlich der Intensität des ultrakurzen THz-Impulses. Auf dieser Zeitskala sind Bewegungen der Proteinumgebung des Chromophors quasi eingefroren und haben keinen Einfluss auf die Bestimmung der Dipoländerung. Die THz-Stark-Spektroskopie ermöglicht so genaue Messungen von Dipolmomenten in chemisch und biologisch relevanten molekularen Systemen.

Abb 1. (a) Molekulare Struktur der protonierten Schiffschen Base des Retinals in Bakteriorhodopsin (schwarze Struktur) und der Bindungstasche im Protein, die aus Aminosäuren und eingebetteten Wassermolekülen besteht. Der blaue Pfeil symbolisiert das elektrische Dipolmoment des Retinals. (b) Molekülstruktur der trans- und 13-cis Isomere der protonierten Schiffschen Base und Schema der molekularen Potentialflächen entlang der Reaktionskoordinate der Isomerisation (S0: Grundzustand; S1, S2: erster und zweiter elektronisch angeregter Zustand). Die Mischung des S1-und S2-Zustandes führt zu den flachen Potentialminima im angeregten Zustand, die starken Einfluss auf die Reaktionsdynamik haben. (c) Schema des THz Stark-Experiments mit einem intensiven THz Pumpimpuls und einem optischen Abtastimpuls. Das auf die Probe einwirkende elektrische THz-Feld wird mittels einer metallischen Antennenstruktur erhöht (gelbe Struktur auf der grauen Probenschicht) und erreicht einen Wert von einigen Megavolt/cm. Die durch das THz-Feld induzierte Absorptionsänderung wird mit einem Abtastimpuls gemessen, der durch den Spalt der Antenne propagiert. (d) Zeitabhängiges elektrisches Feld des THz-Impulses (1 ps = 10-12 s).

Abb 2. (a) Schema des THz Starkeffekts. Das lokale THz-Feld Eloc in der Probe induziert eine Energieverschiebung des elektronischen Grundzustandes S0 und des angeregten Zustandes Sex. Dies verschiebt die Frequenz des optischen Übergangs von S0 nach Sex (vertikale Pfeile). Vorzeichen und Betrag der Frequenzverschiebung sind durch die räumliche Projektion der molekularen Dipolmoments µ0 und µex im S0- und Sex-Zustand auf das elektrische Feld Eloc bestimmt. Die Frequenzverschiebung ist proportional zum Produkt der projezierten Dipoldifferenz ∆µ=µex-µ0 und des lokalen Feldes Eloc. Für räumlich ungeordnete Retinal-Dipole in der Probe mittelt das Experiment über alle Dipolrichtungen, was zu einer THz-induzierten Verbreiterung des Absorptionsspektrums führt. (b) Absorptionsänderung (Symbole) am Maximum des THz-Feldes (Zeitpunkt t=0 in Abb. 1d) als Funktion der Frequenz des Abtastimpulses und stationäres Absorptionsspektrum A0 des Retinals ohne THz-Feld (blaue Linie). Der THz-Impuls erzeugt eine spektrale Verbreiterung mit einer Absorptionsabnahme im Zentrum von A0 und Absorptionszunahmen in den Flanken.  Die schwarze Linie zeigt das Ergebnis einer numerischen Datenanalyse, die eine spektrale Verbreiterung von ±12 THz und eine Dipoländerung ∆µ=5 Debye zwischen S0 and Sex ergibt.

Originalpublikation

Ultrafast terahertz Stark spectroscopy reveals the excited-state dipole moments of retinal in bacteriorhodopsin

J. Zhang, P. Singh,  D. Engel,B. P. Fingerhut, M. Broser, P. Hegemann, T. Elsaesser

Proc. Nat. Acad. Sci. USA 121, (26) e2319676121 (2024).

URL, DOI oder PDF