Persönlicher Rückblick -
Ingolf Hertel im Juni 2001 zum 60sten
Jubilare (ist dies ein Jubiläum?) werden gelegentlich gefragt, worauf sie denn besonders stolz seien, wenn sie ihr bisheriges Leben Revue passieren ließen. "Stolz" ist nun zwar eine von mir eher vermiedene Vokabel. Dennoch will ich es hier mal mit einer vorläufigen Positivliste versuchen, durchaus revisionsfähig. Sie kommt mir gerade in den Sinn, wenn ich den Begriff "stolz sein" mit vergangenem Erleben und Tun assoziieren sollte
- Wissenschaftlich: eine recht ordentliche Liste wichtiger Veröffentlichungen in meist namhaften internationalen Journalen meines Fachgebiets. Keine davon wirklich nobelpreisverdächtig - aber viele doch häufig zitiert und wegweisend auf ihre Art – pioneering work – wie das mal ein Gutachter schrieb.
Damit verbunden ist naturgemäß eine gewisse wissenschaftliche Reputation, die mir wohl auch zur Mitgliedschaft in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften verholfen hat.
Man wird ja bei solchen Anlässen gelegentlich nach dem Dutzend wichtigster Papers gefragt, die man produziert hat. Hier die, die mir gegenwärtig als solche erscheinen. Deren Titel markieren die Wege meiner wissenschaftlichen Interessen:
I. V. Hertel; Electron Scattering by Laser Excited Atoms in Well Defined States in Atomic Physics 4, G. Z. Putlitz, Weber, and Winnacker eds. (Plenum, New York, 1974) Vol. 4, 381-96.
W. Stoll and I. V. Hertel; Collision Experiments with Laser Excited Atoms in Cross Beams, Adv. Atom. Mol. Phys. 13 (1978) 113-228.
I. V. Hertel; Collisional Energy Transfer Spectroscopy with Laser-Excited Atoms in Crossed Atom Beams: A New Method for Investigating the Quenching of Electronically Excit Atoms by Molecules, in The Excited State Chemical Physics, Part 2, J. W. Mcgowan ed. (John Wiley, New York, 1981) 341-98
Die Trilogie: "Collisional Alignment and Orientation of Atomic Outer Shells I-III" mit N. Andersen, K. Bartschat, J. T. Broad, E. E. B. Campbell and J. W. Gallagher. Phys. Rep. 165 (1988) 1-188; 279 (1997) 251-398 und 278 (1997) 107-290.
E. E. B. Campbell, G. Ulmer and I. V. Hertel; Delayed ionization of C60 and C70; Phys. Rev. Lett. 67 (1991) 1986-88.
I. V. Hertel, C. Hüglin, C. Nitsch and C. P. Schulz; Photoionisation of Na(NH3)n and Na(H2O)n clusters: a step towards the liquid phase? Phys. Rev. Lett. 67 (1991) 1767-70.
T. Lill, F. Lacher, H.-G. Busmann and I. V. Hertel; Fusion and Rainbow Scattering of C60+ on Crystalline Fullerite Films, Phys. Rev. Lett. 71 (1993) 3383- 6.
I. V. Hertel, H. Steger, J. Devries, B. Weisser, C. Menzel, B. Kamke and W. Kamke; Giant Plasmon Excitation in C60 and C70 Studied by Photoionization; Phys. Rev. Lett. 68 (1991) 784-7
O. Kittelmann, J. Ringling, A. Nazarkin, G. Korn and I. V. Hertel; Direct Observation of Coherent Medium Response under the Condition of Two-Photon Excitation of Krypton by Femtosecond UV-Laser Pulses; Phys. Rev. Lett. 76 (1996) 2682-5.
V. Stert, W. Radloff, T. Freudenberg, F. Noack, I. V. Hertel, C. Jouvet, C. Dedonder-Lardeux and D. Solgadi; Femtosecond time-resolved photoelectron spectra of ammonia molecules and clusters; Europhys. Lett. 40 (1997) 515-20.
E. E. B. Campbell, K. Hansen, K. Hoffmann, G. Korn, M. Tchaplyguine and I. V. Hertel; From above threshold ionization to statistical electron emission: The laser pulse duration dependence of C60 photoelectron spectra; Phys. Rev. Lett. 84 (2000) 2128-31 - Bewegung: Ich habe das Deutsche akademische Prinzip des "Hausberufungsverbots" bis zum Exzess demonstriert. Ob das ein Grund ist, auf unsere Bräuche stolz zu sein, weiß ich nicht. Wir, d.h. meine Mitarbeiter und ich, waren erfolgreich trotz all dieses Herumwanderns. Dabei haben wir - und darauf bin ich in der Tat ein wenig stolz - doch immer ein paar signifikante Spuren hinterlassen
- in Kaiserslautern war ich von der ersten Stunde an aktiv dabei (als erster Dekan der Physik, als Senatsmitglied, Mitglied vieler zentraler Uni-Kommissionen vom ersten (Ende 1969) bis zum letzten Tag (Herbst 1978), als eine Universität auf der grünen Wiese (genauer im Walde) gegründet wurde, die sich heute im internationalen Wettbewerb sehr gut sehen lassen kann. Dort habe ich als Sprecher auch mitgeholfen, den ersten Sonderforschungsbereich in KL zu gründen.
- in meiner erste Berliner Phase (1978-1986) gehörte ich zu den ersten Nutzern von BESSY (eine wissenschaftlich aufregende Zeit) – konnte die zentrale internationale Fachkonferenz über Stoßprozesse nach Berlin holen (ICPEAC 1983), alles im Zeichen, wissenschaftliche Reputation für die FU zu mehren. Bin ins Feuer gegangen, als es noch als sehr repressiv galt, wieder Leistung in der Ausbildung zu fordern, z.B. an der "Physik für Mediziner" Front (eine persönlich und kollegial sehr harte Zeit) - und habe die Universität schließlich verlassen, als es mir gerade gelungen war, einem neuen Sonderforschungbereich zu koordinieren (SFB 337 der bis 1999 Bestand hatte).
- auch in Freiburg (1996-1992 als Nachfolger meines akademischen Lehrers Prof. Otto Osberhaus) war ich - ganz nebenbei - an der Gründung eines neuen SFB beteiligt. Wirklich stolz bin ich aber darauf, die damals noch sehr schwer beweglichen, in ihrer Tradition verfangenen Fakultäten Physik, Chemie und Geographie mit dem "Freiburger Materialforschungszentrum (FMF)" (entgegen vielen Widerständen) in eine (inzwischen sehr erfolgreiche) interdisziplinäre Richtung geschoben zu haben. Mit dieser Neugründung gelang es zugleich, den ersten naturwissenschaftlichen Institutsneubau nach 25 Jahren Stillstand an der hoffnungslos überfüllten Freiburger Uni zu realisieren - eine dynamische Zeit.
- und zurück dann ab 1992 in Berlin ... nun ja: das sind einige ganz eigene Kapitel.
- Meine 5 jährige Tätigkeit als Berichterstatter für die Sonderforschungsbereiche der Deutschen Forschungsgemeinschaft (19987-1992) habe ich nicht nur als große Ehre und Vertauensbeweis der Physik-Community erlebt. Sie hat mir – neben erheblichem Arbeitsaufwand - auch viel Freude und Erfahrungsgewinn gebracht. Möge meine Tätigkeit von denen, die davon betroffen waren, als nützlich empfunden worden sein.
- Noch nicht beendet sind die Anstrengungen für eine europäischen Zeitschrift für Physik, die mich seit vielen Jahren umtreiben. Die Wissenschaft auf diesem Kontinent darf sich nicht auf Gedeih und Verderb ausschließlich der Publikationspolitik unserer Freunde jenseits des großen Teiches ausliefern – auch im wohlverstandenen Interesse gerade dieser, unserer amerikanischen Kollegen nicht. Daher bin ich seit vielen Jahren als Herausgeber einer der wenigen außerhalb der USA verbliebenen physikalischen Fachjournale aktiv. Aufbauend auf der in die Anfangsgründe der modernen Physik zurückreichenden Tradition der "Zeitschrift für Physik", des "Journal de Physique", des "Nuovo Cimento" und anderer Traditionszeitschriften arbeite ich mit meinen Kollegen aus Frankreich, Italien und anderen Europäischen Ländern – nicht ohne Erfolg – an unserem "The European Journal of Physics". Ich bin fest davon überzeugt, dass es gelingen muss und wird, diese Tradition von wissenschaftlicher Publikationstätigkeit in eine nachhaltige Zukunft zu führen. Daran mitwirken zu können, bewegt mich.
- Die Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried, Wilhelm Leibniz (WGL) auf die Beine gebracht zu haben, war - so hoffe ich - eine langfristig wirksame, zukunftsweisende Anstrengung. Diese Geschichte wird einmal ausführlich zu erzählen sein. Eine wichtige Bewegung im deutschen Wissenschaftssystem in der Nach-Wende Zeit. Mich erfüllt es mit Stolz, dass etwa Hans-Olaf Henkel nun mein Nach- Nachfolger im Amte des WGL Präsidenten ist (ich erinnere mich noch, mit welch Engelszungen ich den eher Skeptischen dazu überreden musste, Mitglied unseres Senats zu werden). Eine schöne Bestätigung dessen, was damals Hubert Markl zu mir sagte: ich hätte diesem Amte ein Signifikanz verliehen, die es in Zukunft durchaus attraktiv für so manch würdigen Nachfolger machen könne.
- Adlershof: das Zentrum meines Redens und Handelns der letzten 10 Jahre. Eine "Erfolgsstory" wie nicht nur einschlägige Parteiforen oder das neu von der WISTA MG herausgegebene Magazin es inzwischen betonen. Wer hätte das damals gedacht? Und wie viele Widerstände waren zu überwinden. All die lehrreichen Erlebnisse, Gespräche, Auseinandersetzungen mit einschlägig befassten Politikern und sonstigen Experten aus der Anfangszeit und die (dennoch) eingetretenen Entwicklungen bieten Stoff genug für einen ganzen Roman. Dass es so wurde wie es heute ist, mag ein klein wenig auch mit dem verbunden sein, was ich in diesen Jahren getan habe.
- Wie unser heute so gut renommiertes Max-Born-Institut entstand und sich allen Begehrlichkeiten und Anfechtungen zum Trotz erfolgreich entwickelte und internationales Ansehen erwarb - auch daran mitgewirkt zu haben und ein Stück deutsche Einheit auf dem Schlachtfeld der Wissenschaft mitgeschaffen zu haben: das erfüllt mich mit Freude.
- Da erscheinen dann 15 Monate im Amte eines Staatssekretärs für Wissenschaft und Forschung des Landes Berlin eher wie ein Umweg. Interessant war es aber allemal und - wer weiß - vielleicht habe ich auch dies oder jenes an Nützlichem dabei mitbewirkt: ein Weniges an Profilbildung im großen Brei der Berliner Forschungsszene, ein bisschen an Selbstbewusstsein und Sicherheit für die Akteure bei der Nennung von Wissenschaft und Forschung als wesentliches Merkmal dieser Metropole, ein paar hilfreiche Verankerungen in der Entwicklung der Hochschulverträge, die Beschleunigung des Umzugs der HU nach Adlershof und – last but not least – eine halbwegs vorzeigbare Repräsentanz der Wissenschaftsstadt im World-Wide-Web sowie Zugang zu den neunen Medien für alle Amtstuben der damit befassten Verwaltung.
- Schließlich: OpTecBB – daran mitgewirkt zu haben, dass die Optischen Technologien aus Berlin und Brandenburg im nationalen Wettstreit anerkannt wurden – als Mitsieger aus einem Kompetenznetzwettbewerb hervorgingen – auch das lässt mich mit Genugtuung auf die vergangen Jahre zurückblicken: denn auch hier ist ja die Basis eine zukunftweisende Entwicklung, die in Adlershof ihr Zentrum hat - an der wir Adlershofer zumindest wesentlich Anteil genommen haben - und die nicht zuletzt auch auf den wissenschaflichen Leistungen und dem Ansehen unseres Max-Born-Instituts aufbaut.