Quantenreibung: Jenseits der Näherung des lokalen Gleichgewichts

In der Natur sind Systeme, die sich außerhalb des thermodynamischen Gleichgewichts befinden, allgegenwärtig. Aufgrund ihrer Bedeutung sowohl für die Grundlagenphysik als auch für die moderne Nanotechnologie, erfahren sie seit einigen Jahren eine stetig wachsende Bedeutung. Im Rahmen einer Zusammenarbeit von Forschern der AG Theoretische Optik und Photonik des Max-Born-Instituts und der Humboldt-Universität zu Berlin mit Kollegen der Universität Potsdam, der Yale University und dem Los Alamos National Laboratory ist es nun gelungen, detaillierte neue physikalische Einsichten zur Quantenreibung eines Atoms an einer (glatten) Oberfläche zu erhalten.

Dynamische van der Waals- bzw. Casimir-Kräfte zwischen Atomen, Molekülen und Oberflächen stellen eine spezielle Klasse solcher Nicht-Gleichgewichts-Phänomene dar. Diese Kräfte sind quantenmechanischen Ursprungs und bilden die Grundlage der (kontaktlosen) Quantenreibung, die immer dann auftritt, wenn sich zwei Objekte im Abstand von wenigen zehn Nanometern relativ zueinander bewegen. Allerdings stellt die detaillierte quantitative Beschreibung solcher Nicht-Gleichgewichts-Systeme eine nicht zu unterschätzende Herausforderung dar, so dass oft Näherungs-Verfahren zum Einsatz kommen, die auf der Annahme basieren, dass die Abweichungen von den Nicht-Gleichgewichts-Eigenschaften vergleichsweise klein sind. Und das geschieht sehr oft auch dann, wenn die Gültigkeit der Annahme sowie die zugehörigen approximativen Zugänge unzureichend getestet und in der Folge die Belastbarkeit der Ergebnisse nicht ausreichend gesichert sind.

Im krassen Gegensatz mit weithin anerkannten Annahmen, die auch die verfügbare Literatur dominieren, konnten die Forscher zeigen, dass die Annahme eines lokalen thermischen Gleichgewichts (LTG), welche die miteinander wechselwirkenden Teilsysteme eines allgemeinen Nicht-Gleichgewichts-Systems so behandelt, als wäre jedes für sich zunächst im thermischen Gleichgewicht mit der jeweils unmittelbaren Umgebung, im Falle der Quantenreibung dramatisch versagt.

Abb. 1: Schematische Darstellung des Unterschieds zwischen der LTG-Näherung (a) und der vollen Nicht-Gleichgewichts-Beschreibung (b) der Quantenreibung. Im ersten Fall wird angenommen, dass das Atom und die Oberfläche separat im thermodynamischen Gleichgewicht mit der jeweiligen unmittelbaren Umgebung sind. Allerdings führen die Quanten-Korrelationen zwischen dem Atom und der Oberfläche (im Bild (b) durch die Wechselwirkungspfeile angedeutet) zum Zusammenbruch dieser Näherung, die die Stärke der Quantenreibung um ca. 80% unterschätzt.

Auf der Basis allgemein gültiger Aussagen der Quantenstatistik und exakt lösbarer Modelle, haben die Forscher nachgewiesen, dass die LTG-Näherung die Reibungskraft um ca. 80% unterschätzt. Da die LTG-Näherung das Arbeitspferd bei der Behandlung einer Vielzahl von Nicht-Gleichgewichts-Phänomenen ist, die vom thermischen Energietransport bis hin zu Nicht-Gleichgewichts-Dispersionskräften reicht, demonstrieren diese Ergebnisse, dass bisherige Rechnungen auf der Basis der LTG-Näherung einer strengen Rechtfertigung entbehren und daher überprüft werden müssen.

Neben der Beantwortung grundsätzlicher Fragen im stark interdisziplinären Feld der van der Waals/Casimir Kräfte, werden die Ergebnisse der Forscher beträchtliche Auswirkungen auf eine Vielzahl von Anwendungen im hoch-aktuellen Bereich der Nicht-Gleichgewichts-Physik haben, wie etwa bei miniaturisierten Fallen für ultra-kalte Gase (Atom Chips), nano-elektromechanischen Systemen (NEMS) und der Strahlungsübertragung im Nah-Feld. Dementsprechend liegt mit der vorliegenden Arbeit eine quantitative Analyse vor, deren Aussagen einen erheblichen Fortschritt für das Verständnis der Nicht-Gleichgewichts-Quantenphysik darstellen.

Originalpublikation

Failure of local thermal equilibrium in quantum friction

F. Intravaia, R. O. Behunin, C. Henkel, K. Busch, D. A. R. Dalvit

Physical Review Letters 117 (2016) 100402/1-5

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