Neue Sonde für dynamische elektrische Kräfte zwischen Molekülen

Moleküle in Wasser und anderen polaren Medien unterliegen starken elektrischen Kräften, die aus ihrer bei Raumtemperatur ultraschnell fluktuierenden Umgebung stammen. Eine neue Methode verfolgt die optische Absorption der Moleküle im elektrischen Feld eines ultrakurzen Terahertz-Impulses, um Stärke und Dynamik elektrischer Wechselwirkungen zu bestimmen.

Die spektrale Verschiebung optischer Übergänge in einem äußeren elektrischen Feld, der sog. Stark Effekt, ist ein fundamentaler Quanteneffekt der Licht-Materie-Wechselwirkung und gibt Einblick in atomare und molekulare Eigenschaften. Der Stark-Effekt wurde vorwiegend unter stationären Bedingungen untersucht, um das zeitlich gemittelte Verhalten eines einzelnen Quantensystems oder eines Ensembles zu bestimmen. Hingegen erlauben zeitaufgelöste Messungen eine Beobachtung der transienten Eigenschaften und geben Einblick in Prozesse im atomaren Bereich.   

Forscher des Max Born Instituts in Berlin und der Ludwig-Maximilians-Universität in München haben jetzt mit starken elektrischen Feldern im Terahertz-Frequenzbereich (1 THz = 1012 Hz) die optische Absorption von Farbstoffmolekülen in flüssiger Lösung verändert und ihre ultraschnelle Zeitentwicklung erfasst. Wie sie in der Fachzeitschrift The Journal of Physical Chemistry Letters berichten (https://doi.org/10.1021/acs.jpclett.3c01079), führt die Wechselwirkung mit einem THz-Impuls von ca. 1 ps Dauer (1 ps = 10-12 s) zu einer erheblichen Verbreiterung des Absorptionsspektrums, aus der sich die Kopplung der Moleküle an das äußere Feld quantitativ bestimmen und gleichzeitig die Felder in der Lösung kalibrieren lassen. Eine eingehende theoretische Analyse zeigt, dass die Form der  Absorptionsbande primär durch fluktuierende elektrische Kräfte der Lösung bestimmt ist.

In den Experimenten wird ein ultrakurzer THz-Impuls auf eine Lösung des Farbstoffs Betain 30 eingestrahlt (Abb. 1). Das auf die Moleküle wirkende THz-Feld wird mittels einer metallischen Antennenstruktur erhöht und hat einen Maximalwert von 3.6 Megavolt pro cm (MV/cm, Abb. 2a). Dies entspricht ungefähr einem Drittel des durch das Lösungsmittel hervorgerufenen fluktuierenden Feldes. Die durch den THz-Impuls hervorgerufene momentane Absorptionsänderung des Farbstoffs wird mit Abtastimpulsen von ca. 100 fs Dauer aufgezeichnet. Ihre zeitliche Entwicklung lässt sich durch eine Veränderung der Verzögerungszeit zwischen den beiden Impulsen erfassen.

Der zeitliche Verlauf des THz-Feldes ist in Abb. 2a gezeigt, die zeitabhängige THz-Intensität in Abb. 2b (Linie). Die Absorptionsänderung des Farbstoffs ist in Abb. 2c in Abhängigkeit von Frequenz (untere Skala) und Wellenlänge (obere Skala) für unterschiedliche Verzögerungszeiten aufgetragen (Symbole). Der Vergleich mit dem stationären Absorptionsspektrum (blaue Linie, kein THz-Feld) zeigt eine Absorptionsabnahme im Zentrum des stationären Spektrums und Absorptionszunahmen in seinen Flanken. Dies entspricht einer durch das THz-Feld hervorgerufenen spektralen Verbreiterung. Sie folgt zeitlich der THz-Intensität (Abb. 2b, Symbole), während das Lösungsmittel keinen Beitrag zur Absorptionsänderung liefert. Seine molekulare Struktur ist 'eingefroren'.

Die in der Lösung ungeordneten Farbstoffmoleküle besitzen ein permanentes elektrisches Dipolmoment (Abb. 1), das mit dem THz-Feld wechselwirkt. Diese Wechselwirkung verschiebt die spektrale Position des optischen Übergangs zwischen dem Grundzustand S0 und dem ersten angeregten Zustand S1 des Farbstoffmoleküls (Niveauschema in Abb.1). Die Stärke der Wechselwirkung und damit die Größe und das Vorzeichen der spektralen Verschiebung sind durch die Projektion des THz-Feldes auf das molekulare Dipolmoment bestimmt. Die transienten Spektren in Abb. 2c entspechen deshalb dem über alle molekularen Orientierungen gemittelten Verhalten der Farbstofflösung. Eine quantitative Analyse der spektralen Verbreiterung liefert die Stärke der elektrischen Kopplung und erlaubt eine Eichung der elektrischen Felder in der Lösung. Darüber hinaus könnte der ultraschnelle und vollständig reversible Charakter der feldinduzierten Absorptionsänderungen Anwendungen in optischen Schaltern und Modulatoren ermöglichen.

Abb. 1. Molekulare Strukturen des Farbstoffs Betain 30 (dunkle Konturen) im Lösungsmittel Dimethylsulfoxid (DMSO). Die ungeordneten Farbstoffmoleküle besitzen ein permanentes elektrisches Dipolmoment entlang ihrer Längsachse (weiße Pfeile). Die Wechselwirkung mit dem zeitabhängigen Terahertz-Feld ETHz(t) verändert die Energie des Grundzustandes S0 und des ersten angeregten Zustandes S1 der Moleküle (Niveauschema unten links) und damit die optische Absorptionsfrequenz. Diese spektrale Verschiebung wird mit einem ultrakurzen Abtastimpuls Iprobe(t) in Echtzeit aufgezeichnet. Vorzeichen und Größe der spektralen Verschiebung (Spektren unten rechts) hängen von der räumlichen Projektion des lokalen THz-Feldes auf die Richtung des molekularen Dipolmoments ab. Das Experiment liefert die zeitliche Entwicklung des über alle Farbstoffmoleküle gemittelten Absorptionsspektrums.

Abb. 2. (a) Zeitlicher Verlauf des elektrischen THz-Feldes mit einer Maximalamplitude von 3.6 MV/cm am Ort der Moleküle. (b) Zeitlicher Verlauf der THz-Intensität (Linie), die dem Betragsquadrat des THz-Feldes in Teilbild (a) entspricht. Die Symbole zeigen die Absorptionsänderung der Farbstofflösung bei einer Frequenz von 402 THz (schwarzer Pfeil in Teilbild (c), Wellenlänge 746 nm) als Funktion der Verzögerungszeit zwischen dem Maximum des THz-Feldes und dem Abtastimpuls. Die Absorptionsänderung folgt zeitlich der THz-Intensität. (c) Stationäres Absorptionsspektrum von Betain 30 in DMSO (blaue Linie, kein THz-Feld) und transiente Absorptionsspektren für verschiedene Verzögerungszeiten (Symbole). Die Absorptionsänderung, d.h. die Differenz der Absorption mit und ohne THz-Feld ist als Funktion der Frequenz (untere Skala) oder Wellenlänge (obere Skala) aufgetragen. Der Verlauf der transienten Spektren entspricht einer Verbreiterung mit einer Absorptionsabnahme im Zentrum und Absorptionszunahmen an den Flanken des stationären Spektrums. Rechts unten ist die molekulare Struktur des Farbstoffs Betain 30 gezeigt.

Originalpublikation

Transient Terahertz Stark Effect: A Dynamic Probe of Electric Interactions in Polar Liquids

Poonam Singh, Jia Zhang, Dieter Engel, Benjamin P. Fingerhut, Thomas Elsaesser

J. Phys. Chem. Lett. 2023, 14, 5505–5510

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